Beitragende

Donnerstag, 28. April 2011

Wie ich zum Karate kam...

Ich fing mit Karate als Schülerin an, zu einer Zeit in der ich mich unsportlich fühlte, von meinem Lateinlehrer schikaniert wurde („Drück Frauen Caesar zum Übersetzen in die Hand und es kommt ein Kochrezept raus!“), den Schulsport hasste und eine panische Angst vor Bodenturnen entwickelte. Eines Tages beschloss ich, dass ich, wenn ich bis zum Abi durchhalten wollte, etwas unternehmen musste. Ballsportarten kamen nicht in Frage, davon hatte ich im Schulsport schon genug, außerdem wollte ich ja meine Angst vor dem Bodenturnen loswerden und ein bisschen was Besonderes sollte es auch sein. Ich war noch nie diejenige, die das macht, was alle machen.
Irgendwann sah ich einen Karatefilm und wenige Tage später eine Anzeige in der Zeitung - „Karate-Anfängertraining“. Da machte es „Klick“ und ich ging mit Herzklopfen zu meinem ersten Training in der Erwachsenen-Anfängertruppe.
Ich war wahnsinning gespannt, was ich von dem, was ich aus Filmen kannte, im Training tatsächlich wiederfinden würde. So wirklich konnte ich mir das nicht vorstellen. Wie sollte man kämpfen lernen, ohne ständig verletzt zu sein? Ich hoffte inständig, nicht gleich beim ersten Mal verprügelt zu werden. Und überhaupt sah das, was man in Filmen sieht, so gewaltig aus, dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass ich in der Lage wäre, so etwas zu lernen. Es war in der Tat mehr Interesse, Unwissenheit und Abenteuerlust, was mich zum Training trieb, als eine konkrete Vorstellung davon, wie Karate ist.
In meiner Tasche hatte ich mein Sportzeug inkl. meiner Jogging-Schuhe. Ich vermutete ganz stark, dass es eine „urban legend“ sein musste, dass Kampfsport barfuß trainiert wird - wir sind doch nicht mehr im Mittelalter!

In der Halle angekommen, schloss ich zaghaft die ersten Bekanntschaften. Ich war die Jüngste, ob damals noch andere Frauen dabei waren, daran kann ich mich gar nicht mehr erinnern...
Schnell bemerkte ich meinen Irrtum mit den Schuhen, und auch sonst lief das Training ganz anders ab, als ich es erwartet hatte - und ganz anders als jede Schulsportstunde bis jetzt gewesen war.
Mich beeindruckte das Innehalten zu Beginn und zum Ende des Trainings.
Ich war erstaunt, dass die Techniken tatsächlich auf japanisch angesagt wurden und gelegentlich wurde auch japanisch gezählt. Das Ganze hatte mehr Ähnlichkeit mit Filmen, als ich gedacht hätte.
Auch fielen mir die ersten Techniken leicht: Wir lernten zuerst den geraden Fauststoß (Oi-Zuki) und das vorwärts gehen. Unser Trainer ließ uns nicht aus den Augen und korrigierte immer wieder.
Mich begeisterte, dass immer wieder erklärt wurde warum eine Technik genauso und nicht anders ausgeführt werden muss. „Pass auf, wie du schlägst, der Arm darf nicht komplett durchgestreckt sein, sonst machst du dir das Ellenbogengelenk kaputt“, hörte ich ständig.
Vor unserer Trainingseinheit trainierten die Fortgeschrittenen. Wenn ich ihnen die letzten paar Minuten zusah, war ich sicher, dass unsere Techniken für sie total albern und stakselig aussehen mussten. Es war einfach der Wahnsinn, wie cool Katas der Grün-, Blau- und Braungurte aussahen! Das wollte ich auch können!

Nach ein paar Wochen wechselten wir in das Training der Unterstufe. Hier lernte ich einen weiteren Trainer kennen: Michael, damals noch Braungurt.
Wenn ich zum Training die Halle betrat und sah, dass Michael das Training leitete, wusste ich, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nach dem Training quasi auf allen Vieren aus der Halle kriechen würde. Ich hatte etwas Angst, gleichzeitig packte mich die Aufregung und so etwas wie Kampfgeist.
Michael scheuchte uns damals mit fiesen Techniken in Längsrichtung durch die Halle. Wir machten Schubkarre, trugen unsere Partner quer liegend auf unseren Schultern (dazu sagte er immer: „stellt euch vor, ihr seid in der Wüste und euer Freund bricht zusammen...“). Wir traten und schlugen, machten Liegestütz auf Fäusten und Sit-Ups, wir machten Freikampf und Spiele, in denen wir uns gegenseitig mit dem Gürtel jagten und es kam in meiner Anfangszeit gelegentlich so weit, dass Michael meinen Kampfgeist soweit anstachelte, dass ich im Training fast ohnmächtig wurde. Ich musste meine Grenzen erst mal kennenlernen...
Irgendwann nannte ich ihn, wenn ich zuhause vom Training erzählte: „Der Sadist...“, aber meine Eltern sahen wohl in meinen leuchtenden Augen die Begeisterung, das Fieber hatte mich längst gepackt.
Im Training war mir am Anfang sehr wichtig, mir nie anmerken zu lassen, dass ich nicht mehr konnte. Die Liegestütz fielen mir zu Beginn sehr schwer. Zuerst konnte ich nur ein paar, aber dann übte ich zu Hause und es war wirklich sehr beeindruckend für mich, dass, wenn man Liegestütz übt, man eigentlich jeden Tag 1-3 mehr schafft als am Vortag. Innerhalb kürzester Zeit konnte ich ca. 40 Stück, dann steigerte ich das Training nicht mehr, weil es langweilig ist mehr als 40 Liegestütz am Stück zu machen ;-)

Meistens ärgerte ich mich (und das ist auch heute noch so), wenn wir Frauen irgendwo eine „Extrawurst“ im Training bekamen. Aber es gab eine Übung, da war ich echt froh. Als es zum ersten Mal hieß: „Alle eine Reihe, dich zusammenrücken, legt euch nebeneinander auf den Boden!“, war ich ziemlich irritiert. „Du nicht, nur die Herren“, hieß es dann. Unser Trainer stellte sich dann vor die am Boden liegenden, die dann ihre Bauchmuskeln anspannen sollten. Dann lief er vorsichtig über die Bäuche. Ich konnte es nicht fassen! Jetzt sollte ich. Ich hatte furchtbare Angst, daneben zu treten, oder zu schwer zu sein, oder zu fallen, aber ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und es ging.
Der erste am Boden Liegende steht danach auf, geht selbst über alle und legt sich dann am Ende wieder hin, bis alle einmal dran waren. Man merkt dabei genau: Auf den Leuten, die ihre Bauchmuskeln gut anspannen konnten, konnte man wie über eine feste Mauer laufen. Auf denen, die es nicht so gut konnten, war es furchtbar wackelig.
Besonders Spaß machte es mir, wenn wir uns im Kreis um einen Karateka stellten und diesen dann nach Ansage angriffen. Der im Zentrum des Kreises Stehende muss dann schnell reagieren und abwehren inkl. Gegenangriff. Am Anfang konnte ich es gar nicht, mir fiel keine Technik ein, weder zur Abwehr noch für den Gegenangriff, aber nach einiger Zeit wurde es immer leichter. Je schneller die Angriffe kamen, desto automatischer kam die Reaktion. (Eigentlich könnten wir das mal wieder öfter machen, liest hier ein Trainer mit? Ach, und wie heißt die Übung eigentlich?)

Das Training damals war streng, kam jemand zu spät oder benahm sich daneben, hieß es „Liegestütz“ und zwar meistens für alle. Aber auch damals kam Sicherheit und das Miteinander an erster Stelle und auch die „sprituelle Seite“ des Karates kam nicht zu kurz.

Im letzten Training vor meiner ersten Gürtelprüfung gingen wir noch mal alle Techniken durch und Michael nutzte den Moment um alle auf die Prüfung einzustimmen: „Wenn ihr am Samstag zur Prüfung kommt, dann betretet die Halle mit breiten Schultern und erhobenen Hauptes. Ihr habt trainiert, ihr seid gut vorbereitet, ihr habt alles getan um jetzt erfolgreich durch diese Prüfung zu gehen. Also stellt euch vor den Prüfer, blickt ihm in die Augen und macht eure Techniken mit Ruhe und mit Kampfgeist, genauso wie im Training. Dann ist es auch völlig egal, wie die Prüfung ausgeht, denn ihr könnt hinterher sagen, ihr habt euer bestes gegeben und darum geht es beim Karate.“ So hörte ich zum ersten Mal eine von den berühmten Karate-Michael-Reden - wie meine Schwester und ich das später nannten.



Als ich neulich meinen Freundinnen, die ja noch nicht so lange bei uns trainieren, von unserem Training damals erzählte, konnten sie es nicht glauben, dass Michaels Training damals so aussah, von dem Sadist ist kaum noch etwas übrig geblieben, heute liegen die Schwerpunkte seines Trainings anders. Aber natürlich machen nicht nur wir, sondern auch unsere Trainer und das Karate, dass sie trainieren, eine Entwicklung durch. Und es beruhigt mich ungemein, dass diese Entwicklung nicht mit Erreichen des 1. Dans aufhört - das wäre dann ja langweilig, auch wenn ich mich heute ab und zu mal über einen Hauch Trainer-Sadismus im Donnerstagstraining freuen würde ;-)



PS: Ich habe immer noch riesige Angst vor Bodenturnen, das fängt schon beim Purzelbaum an. Zum Glück ist meine Schulzeit längst vorbei und so bin ich nur 1-2 mal im Jahr damit konfrontiert, wenn es heißt: „Heute machen wir Fallübungen!“

1 Kommentar:

  1. Puh, da bin ich ja heilfroh, dass ich erst Jahre später zu euch gestoßen bin. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Michael mal ein Sadist gewesen sein soll ;-)

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