Beitragende

Montag, 31. Oktober 2011

Braucht man Selbstverteidigung?

Nach dem letzten SV-Training und bedingt durch die Herbstferien habe ich mich mit einem etwas theoretischerem Thema beschäftigt. Die einleitende Frage für mich war: Warum trainiere ich Selbstverteidigung?
Meine spontane Antwort ist: Spaß. Ja, es macht mir Spaß, aber die ganze Wahrheit ist das noch nicht. Denn schließlich mache ich mir ja ständig Gedanken darüber, welcher Angriff mir realistisch erscheint und was eher Spielerei ist. Wenn ich schon etwas trainiere, das Selbstverteidigung heißt, geht es mir also darum, im Fall der Fälle (so unwahrscheinlich er auch sein mag) so gut gerüstet zu sein, wie es eben geht. Was der Fall der Fälle sein könnte, sagt mir mein Bauchgefühl: Keine Kneipenschlägerei, keine Gewalt in der Familie, sondern eher eine pöbelnde Anmache, der Versuch einer Vergewaltigung vielleicht, oder ein Raubüberfall, obwohl ich das schon für ziemlich unwahrscheinlich halte.
Wäre ich ein Mann, würde mein Bauchgefühl mir vermutlich als Fall der Fälle die (Kneipen-)Schlägerei oder den Raubüberfall vorschlagen.

Nun weiß ich zum Glück wenn überhaupt nur aus dem Fernsehen, wie eine Kneipenschlägerei, eine Vergewaltigung oder ein Raubüberfall ablaufen könnte.
Für eine Kneipenschlägerei erscheinen mir Faustschläge / Schwinger, vielleicht noch ein Schwitzkasten als wahrscheinlichste Angriffsform.
Bei einer (sich anbahnenden) Vergewaltigung vermute ich eher Greifen,  Halten, Würgen, Bodenkampf mit Schlägen oder eine Bedrohung durch eine Waffe wie z.B. ein Messer.
Drohen mit einer Waffe sehe ich auch bei einem Raubüberfall ganz vorn.

Aufgrund dieser Einschätzung fühle ich mich als Frau manchmal in SV-Trainings etwas vernachlässigt. Gut, die meisten Teilnehmer sind Männer und sollen auch zu ihrem Recht kommen. Aber für meinen Geschmack üben wir die Abwehr von Faustangriffen wie Schwinger deutlich häufiger als die Angriffsformen, mit denen ich mich als Frau eher konfrontiert sehen würde.

Aber stimmt meine Einschätzung bzgl. des wahrscheinlichsten Angriffs gegen mich überhaupt? Stimmt mein Bauchgefühl, was die Art der Angriffstechnik und den Ablauf angeht?
Wieviele Frauen werden eigentlich Opfer einer Vergewaltigung? Und wieviele Männer werden im Rahmen einer Prügelei angegriffen und verletzt?
Wie wahrscheinlich sind Raubüberfälle? Wie häufig werden Waffen eingesetzt und wie laufen die verschiedenen Angriffe ab?
Alle diese Gedanken schwirren mir in letzter Zeit im Kopf herum. Da muss es doch schon längst Studien zu geben?!
Gibt es auch! Angeschaut habe ich mir die Kriminalstatistik 2010 des BKAs (alles andere hätte leider im Moment für mich den Rahmen gesprengt) - und dabei habe ich interessante Sachen herausgefunden:
Z.B. dies hier (alle folgenden Grafiken stammen aus der o.g. und verlinkten Quelle):



Wundern tut mich an diesen Zahlen z.B. dass von den ca. 1660 männlichen Opfern versuchten oder vollendeten Totschlags (oder Mord) "nur" ca. 330 vollendet wurden, bei den ca. 936 weiblichen Opfern sind es aber ganze ca. 360 vollendete Taten. Keine Ahnung, ob man daraus schließen kann, dass sich Männer besser wehren. Ich denke, dafür fehlen hier noch ein paar Informationen, aber komisch ist das schon.
Außerdem bin ich über die Anzahl an Straftaten gegen die persönliche Freiheit erstaunt und über die Gleichverteilung über Alter und Geschlecht. Bei diesen Straftaten müsste man noch mal genau hinschauen, was alles dazu zählt.

Hier das Ganze noch mal ähnlich, grafisch aufbereitet, über die Opfergefährdungszahl, das ist die Anzahl der Opfer pro 100 000 Einwohner bezogen auf die jeweilige Altersklasse:

 Beruhigend ist immerhin, dass die Anzahl der Versuche die Anzahl der vollendeten Fälle übersteigt.

Ganz anders hier, und zwar sowohl bei Männern als auch bei Frauen, ob das wohl etwas mit mangelnder Gegenwehr zu tun hat? Das erfährt man hier nicht, aber ich komme später noch mal darauf zurück:


Hier noch mal die Auflistung für Raub:

Komisch, dass öfter Männer als Frauen Opfer von Raub werden, einen so großen Unterschied hätte ich da nicht erwartet...


Keine Ahnung, was versuchte Körperverletzung ist. Aber hier wäre zu beachten, dass sich die Achsenbeschriftung geändert hat. Hier finde ich spannend, dass zwischen 18 und 21 knapp 4% der Bevölkerung Opfer wird. Das ist viel mehr, als ich erwartet hätte.

Schaut man sich an, in welcher Beziehung die Opfer zum Täter standen, ergibt sich ebenfalls ein spannendes Bild:



Mal ganz platt gesagt werden Männer hauptsächlich von fast Unbekannten (keine oder flüchtige Vorbeziehung) umgebracht und Frauen hauptsächlich von ihrer Verwandtschaft.


Hier ist ganz spannend, dass die Verteilung der Beziehung zum Täter bei männlichen und weiblichen Opfern fast gleich ist. Der Anteil an Tätern, die das Opfer zuvor nicht kennen, macht einen für mich überraschend kleinen Teil aus. Ich hatte mir wirklich vorgestellt, dass bei solchen Straftaten einfach irgendwelche "Irren aus dem Gebüsch springen" - also überfallartig, für das Opfer aus heiterem Himmel passieren (sowas gibt's ja auch, aber der Standardfall ist wohl eher, dass es eine Vorbeziehung gibt).

Ich könnte mir vorstellen, dass der größere Anteil an "erfolgreichen" Tötungsdelikten an Frauen und die vollendeten Straften gegen die sexuelle Selbstbestimmung eventuell auch etwas damit zu tun haben, dass in vielen Fällen eine Beziehung zwischen Täter und Opfer bestand.
Vielleicht ist es schwieriger sich gegen jemanden zur Wehr zu setzen, der einen kennt und den man selbst kennt. In Abhängigkeitsverhältnissen z.B. kann ein Täter leicht von seiner Machtposition Gebrauch machen und das Opfer (dessen Schwächen er kennt) einschüchtern, so dass ggf. kaum noch eine Gegenwehr erfolgt.

Ich habe noch einiges mehr gelesen, und es gibt noch so viele interessante Studien zu dem Thema, dass ich es bereue nicht so viel Zeit zu haben die vielen hundert Seiten Papier zu wälzen, die ich mir zumindest schon mal herunter geladen habe. Aber für diesen Artikel will ich es hierbei bewenden lassen. (Vielleicht reiche ich später noch mal mehr nach)
Ich habe aus meinen Recherchen für mich folgende Erkenntnisse mitgenommen:
1) Da mein Umfeld kein Gewalttätiges ist, habe ich schon mal einen Großteil des Risikos für mich ausgeschlossen und das dürfte den meisten wenn nicht gar allen Karatekas aus unserem Dojo ähnlich gehen.
2) Tatsächlich sehe ich nach wie vor für mich in erster Linie einen Angriff wie eine Vergewaltigung als wahrscheinlich an, inzwischen aber dicht gefolgt von einer Prügelei / Körperverletzung. Obwohl das Risiko für beides (das ich ohnehin nicht allzu hoch einschätzte) wohl noch viel geringer ist, als ich es vermutet hätte.

Folgendes möchte ich in Zukunft in der Selbstverteidigung lernen:
1) Mich gegen Greifen, Würgen und zu Boden reißen zur Wehr setzen zu können.
2) Mich am Boden verteidigen zu können
3) Schlagangriffe abwehren
4) Angriffe / Drohen mit Waffen abzuwehren
5) Wie helfe ich / greife ich ein, wenn jemand anders verprügelt wird (wie mache ich einen prügelnden / tretenden Angreifer z.B. von hinten kampfunfähig)?
6) Wie geht man mit mehreren Angreifern um?

Vor allen Dingen die letzten beiden Punkte sind für mich neu dazu gekommen. Denn wenn ich durch mein Umfeld schon ein geringeres Risiko habe, selbst Opfer zu werden, könnte es sein, dass ich Zeuge werde. Und dann möchte ich nicht gelähmt daneben stehen, sondern etwas sinnvolles tun können.

Ich bezweifle, dass ich jemals soweit komme alle 6 Punkte sicher zu beherrschen. Aber schon allein daran zu arbeiten, dürfte interessant sein...