Beitragende

Sonntag, 1. Mai 2011

Schlagen lernen...

Der Titel dieses Beitrages klingt etwas brutal, aber man möge beachten, dass dort steht: „Schlagen lernen“ und nicht „Zuschlagen lernen“. Denn ich möchte heute über das Erlernen einer richtigen Technik schreiben.
Beobachtet man Anfänger, sieht man oft, dass der gerade Fauststoß (Oi-Zuki) gar nicht geschlagen wird, sondern einfach nur der Arm mit der (oft noch nicht einmal komplett geschlossenen) Faust nach vorn gehalten wird. Das fällt dem Anfänger selbst nicht unbedingt auf, denn in der Grundschule läuft man ja einfach Bahnen und schlägt dabei in die Luft, und Luft liefert einem üblicherweise wenig Feedback ;-) .
Als ich Anfänger war, war ich gerade in der Pubertät und hob mir für Donnerstags die ganze Wut (auf Lehrer, blöde Typen, etc.) der Woche auf. Bei den Grundschultechniken stellte ich mir dann den Übeltäter der Woche vor und schlug zu. Also habe ich meine Schläge recht schnell mit geballter Faust, mit Muskelanspannung und mit Kampfgeist ausgeführt.
Ich war mir sicher, ich machte alles richtig. Und selbst wenn nicht, ging ich davon aus, dass soviel Kraft und Energie reichen müsste um jemanden umzuhauen.

Nachdem ich bereits einige Monate Training hinter mir hatte, trainierten wir zum ersten Mal mit Schlagpolstern (das sind dicke Schaumstoffpolster, die von einem Partner gehalten werden). Wir stellten uns in einer Reihe auf und sollten nacheinander aufs Polster schlagen.
Michael fing an, schlug zu, das Polster machte "Puffft!", als die Luft durch den Schlag herausgepresst wurde, der Partner (ein kräftiger Typ), taumelte etwas zurück, ächzte dabei und machte ein  unglückliches Gesicht.
Michael übernahm das Polster, dann war ich dran. Ich nahm meine ganze Kraft zusammen, schlug zu und das Polster machte ein enttäuschendes "Plöpp.", als meine Faust auf die Kunststoffbeschichtung traf. Ich war baff, das hatte ich nicht erwartet. Zeit blieb mir nicht darüber nachzudenken, denn Michael brüllte mich an: Stärker! Ich schlug nochmal - "Plöpp." - Mit Kiai! - "Plöpp." - Gib Gas! - "Plöpp." - Los! - "Plöpp." - langsam fing meine Faust an weh zu tun - Nochmal! Wieder "Plöpp." und meine Faust knickte schmerzhaft nach innen. Ich ging zur Seite und ließ den Nächsten ans Polster.

Eine alternative Übung funktioniert so, dass wir uns mit Faustschützern nebeneinander aufstellen. Der Erste geht dann die Reihe entlang und schlägt in Chudan (=Bauch) Höhe zu.
Diese Übung braucht Anfangs große Überwindung, man hat gar kein Gefühl dafür wieviel die Faustschoner abfedern und auch nicht wieviel Wiederstand wohl so ein Bauch bieten kann. Und man möchte natürlich niemanden umhauen, und natürlich glaubt man, dass man das auf jeden Fall tun würde, wenn man so zuschlägt, wie in der Grundschule. (Durch die Faustschützer wird der Schlag abgeschwächt und natürlich achtet jeder beim Schlagen darauf, wen man vor sich hat. Bei einem Weißgurt ohne Bauchmuskeln kann man ganz anders zuschlagen als z.B. beim Trainer. Außerdem gilt auch ein bißchen: je stärker jemand bei mir zuschlägt, desto stärker kann ich bei ihm zuschlagen.)
Auch bei dieser Übung grinste mich Michael regelmäßig nach meinem ersten Schlag an, gab mir zu verstehen, dass er nichts gespürt hätte und dass ich es noch mal versuchen sollte. Das Ganze war ziemlich frustrierend, man schlägt mit aller Kraft zu und der andere lacht...
Inzwischen weiß ich besser worauf es beim Schlagen ankommt: Man sollte hinter das Ziel zielen (durchschlagen), das Arretieren der Faust bringt zusätzlichen Schwung, und, ganz wichtig, der Einsatz der Hüfte bringt noch mal einen richtigen Boost. Beim Schlagen auf Chudan-Höhe zielt man auf den Solar Plexus.

(Der Freizeit-Schläger, der hier hoffentlich nicht mitliest, wird vermutlich lachen,) aber um das richtig zu lernen brauchte ich etliche Jahre, in denen ich immer mal wieder von Michael angebrüllt wurde: „Nochmal, mit Kiai!“
Wenn wir heute diese Übung machen, sagt Michael nichts, verzieht das Gesicht und muss selbst einen Kiai machen, wenn meine Faust (inkl. Faustschoner) auf seinen Solar Plexus trifft.
Trotzdem ist für mich der Oi-Zuki ausschließlich eine klassische Grundschul-Karate-Technik und keine, die ich bevorzugt im Ernstfall einsetzen würde, zuviele Faktoren (richtiger Stand, Abstand, etc.) müssen stimmen, damit sie wirkungsvoll ist.

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