Beitragende

Dienstag, 24. Mai 2011

Bodenkampf

Als es gestern beim Montagstraining hieß: „Legt die Matten aus, auf Wunsch machen wir Bodenkampf!“ konnte ich mein Grinsen kaum verbergen. Endlich war es mal soweit und ich war gespannt - Bodenkampf habe ich noch nie gemacht. „Wer hat sich das gewünscht?“ meine beiden Freundinnen schauten mich vorwurfsvoll an. „Ich hab nichts gesagt“, verteidigte ich mich und dann fiel es mir ein: „Aber ich habs geschrieben..." (- schön, dass du mitliest, Torsten ;-))

Als wir dann mit Fallübungen begannen, erlitt meine Euphorie einen deutlichen Dämpfer. Ich hasse Fallübungen. Ich finde sie überflüssig: Wenn ich geworfen werde, fliege ich ja sowieso so, wie ich halt geworfen werde und freiwillig werfe ich mich nicht zu Boden, also brauche ich keine Fallübungen. Außerdem habe ich Angst davor. Das ist quasi eines der aus meinem Schulsport übrig gebliebenen Kindheitstraumata.
Naja, mitgehangen, mitgefangen, machte ich die Übungen mit und siehe da: Soooo schlimm war es nun auch wieder nicht.

Dann machten wir ein paar interessante Würfe, zuerst trainierte ich mit einem Mädel zusammen, dann hieß es Partnerwechsel. Ich blickte mich suchend um und fand Melanie, aber die hatte sich tatsächlich Sascha geschnappt - soviel also zum Thema „SV, ach nö!“...

Schnell hatten sich fast alle um mich herum einen Partner gesucht, ich sah, dass der „Anfänger-Kindertrainings-Schwarzgurt-Michael“ noch frei war, ging zu ihm und grüßte an.
So gut kennen wir uns ja noch nicht, aber ich dachte bei einem Schwarzgurt ist man ja eigentlich immer ganz gut aufgehoben.
Wir übten ein paar Würfe, bei denen man im Anschluss versucht den Gegner zu fixieren. Eigentlich ging das ganz gut.

Dann zitierte Torsten sein „Lieblingsopfer“, sprich Trainingspartner, mit den Worten: "Komm mal in mein Büro!" zu sich, legte sich auf den Rücken und sagte: „So, und jetzt knie dich zwischen meine Beine, pack mich am Kragen und halte mich fest und ich versuche rauszukommen.“
Dann sollten wir das einfach mal versuchen, Torsten zeigte erst mal keine Technik.

Ich stand nun immer noch mit meinem Schwarzgurt-Partner da und irgendwie ist das ja schon erstmal eine komische Situation. Also entschloss ich mich aus sicherer Position erst mal die Lage zu erkunden und schlug vor, zuerst der Angreifer zu sein. Er schien kurz darüber zu schmunzeln, legte sich dann aber auf den Rücken. Ich kniete mich zwischen seine Beine, beugte mich über ihn, packte seinen Kragen und versuchte ihn an Ort und Stelle festzuhalten. Tja, scheinbar hatte er schon mehr Bodenkampferfahrung als ich. Es ging ruckzuck und ich lag irgendwie neben ihm auf der Matte. Dann tauschten wir die Rollen.

Er kniete sich zwischen meine Beine, packte mich am Kragen. Ich war erstaunt wie schwer sein Gewicht auf meiner Brust lag und dachte noch kurz „Zimperlich ist er ja nicht“ und fand das eigentlich ganz gut, weil realistischer. Immer wieder bin ich verblüfft, wie komplett anders sich so eine Situation anfühlt, wenn man verteidigt bzw. wie in diesem Fall eben unten liegt.
Dann begann ich mich aus dem Griff zu winden, aber er zog meinen Kragen über Kreuz immer enger, so dass ich richtig schwer Luft bekam. Ich wand mich Meter um Meter weiter und wir robbten über die Matten. Es war wahnsinnig anstrengend, viel anstrengender als ich vermutet hätte. Längst hatte ich alle anderen in der Halle vergessen, ich versuchte nur irgendwie freizukommen. Lange würde ich das nicht mehr durchhalten. In einem letzten Versuch gelang es mir die Beine anzuziehen, mich abzustoßen, und dabei auf den Bauch zu drehen, dann war ich einen kurzen Moment frei und nutzte den um weg zu hechten.
Wir grinsten uns an, Michael gab mir noch ein paar Tipps fürs nächste Mal, ich war völlig außer Atem und musste erst mal eine Pause machen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt!

Gleichzeitig fing ich an Spaß an der Sache zu haben. Ich fühlte mich in meine Grundschulzeit zurück versetzt in der ich mich mit Freunden im Garten auf dem Boden wälzte, wir Indianer und Cowboy spielten und dabei wie verrückt rumtobten.
Trotzdem ist heute alles anders. Damals waren wir alle einigermaßen gleich stark (eigentlich war ich meistens die Stärkste) und gleich schwer und irgendwie war das ganze Rumgetobe ganz einfach. Bei diesem Training war ich, auch wenn ich es nicht gern zugebe, körperlich deutlich unterlegen und im ersten Moment fühlt man sich doch bedroht, wenn man so am Boden liegt und der andere über einem hängt.

Als nächstes zeigte Torsten eine Abwehr. Das probierten wir gleich aus, ich wieder unten. Mit kleiner Hilfestellung von Torsten funktionierte es auch, aber ich versuchte es nochmal allein. Ich wieder unten, mein Partner mit seinem Gewicht auf meiner Brust. Ein Stück weit schaffte ich es aus dem Griff und wehrte mich. Doch er setzte nach, packte mich und zerrte mich wieder rum. Man hat in so einem Moment gar keine Zeit groß nachzudenken. Ich versuchte es wie zuvor, stieß mich ab, und drehte mich auf den Bauch. Plötzlich war ich auf allen Vieren, aber diesmal setzte er nach und ich fand mich im Schwitzkasten wieder. Ich versuchte mich nach hinten zu werfen, es gelang mir aber nicht ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen, also versuchte ich als nächstes ihn über meinen Rücken zu werfen. Er war aber einfach viel zu stark, da half es noch nicht mal, dass ich versuchte mein komplettes Gewicht einzusetzen, trotzdem hatte er mich gleich wieder gepackt. Mit meinen Händen versuchte ich instinktiv seinen Arm, der sich wie ein Schraubstock um meinen Hals schloss, wegzuziehen, obwohl ich wusste, dass ich so keine Chance hatte. Ich begann mich hin und her zu drehen in der Hoffnung, er müsste seinen Griff lockern, oder ich könnte ihn zu Fall bringen, ich glaube ganz leicht hatte er es nicht, aber so richtig weit kam ich auch nicht. Wir zogen und zerrten uns über die Matte, ich war grad mal wieder unten, immer noch im Schwitzkasten, da hört ich Torstens Stimme über uns und versuchte den Kopf nach oben zu drehen: „Was macht ihr denn da?“
„Bodenkampf.“ sagte Michael seelenruhig, irgendwo hörte ich Melanie lachen.
„Ihr müsst schon aufhören, bevor einer blau anläuft.“

Ich musste lachen, rang nach Luft und überlegte kurz, ob ich wirklich schon blau anlief, aber verwarf den Gedanken gleich wieder (das müsste man ja merken...). "Ganz schön anstrengend!", ich war dankbar für die Pause und andererseits wollte ich weitermachen, denn noch hatte ich ja nicht gewonnen (wenn man es genau nimmt, war ich meilenweit davon entfernt) und gewinnen wollte ich ja eigentlich :-)

Nachdem ich wieder etwas zu Atem gekommen war, zeigte Michael mir dann noch eine andere Technik und damit fiel es mir viel leichter ihn von mir weg zu bekommen. Zusätzlich zeigte er mir, wie man ganz einfach jemanden richtig am Ohr packt, und war dabei nicht gerade sanft mit meinem Ohr - die Technik hat sich auf jeden Fall ziemlich bei mir eingeprägt.

Dann übten wir noch ein paar Fixierungstechniken. Am Anfang konnten wir uns beide ab und zu beim Partner aus dem Griff winden, aber nach kurzer Zeit konnte ich sogar Michael am Boden halten, obwohl er mich jedesmal wieder damit überraschte, welche Kräfte er plötzlich mobilisieren konnte.

Abschließend muss ich sagen, dass es mir richtig Spaß gemacht hat! Judo wäre wohl ganz sicher nichts für mich, aber hin und wieder mal beim Karatetraining mit dem richtigen Partner über die Matten toben, daran könnte ich mich gewöhnen! Und vielleicht schaffe ich es dann auch irgendwann mal, Michael ruckzuck abzuwehren und ihn gleich so zu packen, dass er nicht mehr nachsetzen kann...


Nachtrag: In der Nacht nach dem Training fiel mir eine Technik ein, die uns der Donnerstags-Trainer-Michael beim Kyusho gezeigt hatte um aus dem Schwitzkasten herauszukommen. Jetzt ärgere ich mich total, dass ich in dem Moment, als ich unter Michael hockte, nicht daran gedacht habe. Beim nächsten Mal will ich das unbedingt noch mal an ihm ausprobieren...

Nachtrag 2 - Retrospektive: Eine Retrospektive ist  u.a. ein Begriff aus der agilen Softwareentwicklung, der bedeutet, dass man nach Ende einer Entwicklungsphase zurückschaut und überlegt, was man beim nächsten Mal anders oder besser machen müsste und was man alles gelernt hat. Das gleiche möchte ich nun mal mit Rückblick auf das letzte Training machen...
Nach dem letzten Bodenkampf-Training hat bei mir doch etwas Ernüchterung eingesetzt...
Ich war deutlich unterlegen und es war so viel anstrengender, als ich mir das vorgestellt hätte. Wir haben ja auf Judomatten trainiert. Trotzdem hat mich der Blick heute morgen in den Spiegel etwas überrascht. Am Rücken und am Hals habe ich dünne Striemen von der "Am-Gi-Zerrerei", ein paar Kratzer und blaue Flecke noch dazu (ich hoffe nur Michael sieht genauso aus :-) ) - weh tut davon nichts und ich habe auch nichts davon gemerkt, als es passiert ist, morgen wird wohl davon nichts mehr zu sehen sein. Wenn ich mir aber vorstelle, dass einem so etwas in dünnen, nicht so griffigen Strassenklamotten auf Asphalt oder steinigem Feldwegboden passieren kann, hat man, glaube ich, als Verteidiger auf dem Rücken liegend eher schlechte Karten.
Wie ich im Training feststellen musste, funktioniert es überhaupt nicht völlig kopflos zu versuchen sich irgendwie zu befreien. Das klappt einfach nicht und ist viel zu anstrengend. Fürs nächste Mal habe ich mir vorgenommen ruhiger zu bleiben und einfach auch mal kurz zu warten, bis ich einen Plan habe und den dann durchzuführen. Vorher konnte ich nicht glauben, dass meine Kraft allein nicht ausreichen könnte, das habe ich nun eingesehen. Also muss man mit Köpfchen arbeiten.
Ich glaube, besonders beim Bodenkampf ist für mich die größte Herausforderung nicht das Anwenden einer Technik, sondern das ruhig bleiben (ich bin sonst auch eher ein aufbrausender Mensch), so dass man überhaupt noch an eine Technik denken kann, dafür üben wir das zu selten und die Situation fühlt sich zu außergewöhnlich an.
Als ich mit Michael so über den Boden gekugelt bin, war das ja ein vorher nicht abgesprochener Ablauf, der dazu führte, dass ich mich plötzlich in seinem Schwitzkasten befand. Hier hätte ich lieber etwas innehalten und mich neu sammeln sollen um dann eine gezielte Abwehr durchführen können, das wäre bestimmt zielführender gewesen.
Ich hoffe, ich bekomme irgendwann (in möglichst nicht allzu ferner Zukunft, so dass ich mich noch gut an meine Erkenntnisse erinnere) die Gelegenheit, das einfach noch mal zu probieren.
 

2 Kommentare:

  1. Interessant zu lesen, was mit dir so alles neben mir passiert ist. Das Meiste davon habe ich anscheinend gar nicht mitbekommen, obwohl ich doch direkt neben euch "lag" ;-)
    Aber tröste dich, ich habe heute morgen die 3/4 Hose wieder in den Schrank gepackt, weil meine Beine etwas blau und verschrammt aussahen. Hoffe, meine Partnerin sieht nicht genauso aus ;-)

    Ich habe mich übrigens nur kurzfristig getraut, mit Sascha zu trainieren, danach hatte ich wieder die Hosen voll und habe mit meiner Freundin weiter trainiert(sorry Sascha, wenn du dich nicht gerade auf mich stürzt, bist du ein furchtbar netter Kerl).

    AntwortenLöschen
  2. Ich habe von eurem Training auch nichts mitbekommen. So langsam kommt der Muskelkater durch, das wird noch anstrengend diese Woche...
    Ich habe deine Partnerin heute beim Training getroffen - ich konnte keine Verletzungen feststellen ;-)
    Aber sie brachte das Problem bei SV und insbesondere bei Situationen am Boden super auf den Punkt indem sie sagte: "Wenn man dann aber mal mit einem Partner trainiert, der etwas aggressiver und realistischer ankommt, knallen bei mir gleich die Synapsen durch und ich habe das große "P" in den Augen, dann reagiere ich nur noch instinktiv und kann nicht klar über die Technik nachdenken, man müsste das einfach öfter üben, so dass man lernt in einer solchen Situation zu entspannen und den Kopf frei zu bekommen."
    Über die durchknallenden Synapsen muss ich schmunzeln, aber besser hätte ich das nicht sagen können!

    AntwortenLöschen