Beitragende

Montag, 18. April 2011

Karate? Muss ich jetzt Angst vor dir haben?

Ja, ich mache Karate, und zwar schon viele Jahre. Und ja, es ist mehr als nur Sport (wie z.B. Fitnessstudio, Fahrradfahren, etc.) für mich. Und ja, es geht dabei um Schlagen und Treten und Kämpfen.
Aber das, worum es wirklich geht, spielt sich im Inneren ab. Es zeigt sich in den vielen kleinen Gesten und Details, die ein guter Beobachter beim Training entdecken würde.

Es geht um Respekt. Um Respekt vor dem Trainingsort und den Trainingsgegenständen. Es geht um Respekt vor dem Partner und vor dem Trainer. Und es geht um Respekt vor sich selbst. Respekt vor den Menschen und der Welt zu haben ist etwas, das man auch aus dem Dojo herausträgt, und was sich im Alltag niederschlägt. Vielen Menschen fehlt es meiner Meinung nach an Respekt. Besonders äußert sich das am Umgang mit materiellen Dingen oder den Leistungen anderer. Beim Training verbeugt man sich beim Betreten der Halle vor dem Dojo. Man zollt dem Trainer und Partner Respekt bei Beginn und Ende einer Trainingssequenz. Jeder wird Ernst genommen. Kommt z.B. jemand zu spät, grüßt er den Trainer an und latscht dann nicht quer durch die Halle zu seinem Platz in der Reihe sondern geht an der Wand entlang bis ans Ende der Reihe um die anderen nicht zu stören.

Beim Karate geht es um Disziplin. Auch wenn wir im Training mal rumalbern und lachen, gilt doch das, was der Trainer sagt. Gerade für erwachsene Anfänger ist das oft schwierig. Wann ordnet man sich im Alltag der heutigen Ellenbogengesellschaft schon mal wirklich jemandem unter? Manche Anfänger murren oft laut, anderen merkt man an, wie sie einfach ihr Ding machen und dem Trainer lautlosen Widerstand entgegensetzen. Sich unterzuordnen heißt nicht, seine eigenen Wünsche oder Ziele aufzugeben (immerhin geht es hier ja auch nur um die 2-4 Stunden Freizeitbeschäftigung in der Woche), es bedeutet Vertrauen zu schenken und es zu erlauben die eigenen Grenzen zu überschreiten und auszudehnen. So lernt man über sich hinauszuwachsen. So etwas macht stark und ist gut für das Selbstbewusstsein. Es ist unglaublich befreiend ab und zu einfach mal das zu machen, was gesagt wird und damit Erfolge zu erzielen.
Disziplin bedeutet aber auch, zum Training zu gehen, obwohl man geschafft ist. Techniken auszuprobieren, obwohl man Angst hat. Kontrolliert mit dem Partner umzugehen und sich an dessen Fähigkeiten anzupassen.

Es geht beim Karate auch um so etwas wie Selbsterfahrung. Für mich gibt es im Training keine Grenze mehr in meinem Engagement. Ich halte mich nicht zurück, um nicht aufzufallen, ich mache mich nicht absichtlich schwach, ich blicke meinem Gegenüber in die Augen, ich schäme mich nicht zu schwitzen, mein Kiai ist laut. Ich bin einfach ich, ohne Drumherum. Ohne einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, wie ich wirke oder wie ich mich geben sollte. Im geschützen Raum des Dojos ist das möglich. Es geht nicht um Teamwork, es geht nicht darum, was andere über mich denken.
Hier geht es nur um mich und darum, dass ich mich verbessere. Dieses Ziel teilen wir alle und helfen uns gegenseitig dabei.

Ich liebe am Training die Herausforderung, Neues zu machen, Techniken zu schaffen, die ich mir nicht zugetraut hätte. Mir ist es wichtig als Trainingspartner Ernst genommen zu werden, und als ebenbürtig gesehen zu werden, besonders als Frau unter den Männern.  Deswegen trainiere ich auch gern im Partnertraining mit Männern. Ich habe den Anspruch, dass ich gleich gut, gleich stark sein muss, wenn wir den gleichen Kyu-Grad haben.
Ich liebe es nach einem Training völlig ausgepowert ins Bett zu fallen und sofort einzuschlafen.
Ich liebe den Muskelkater, die wunden Füße und die gelegentlichen blauen Flecke, weil sie mich auch in den Tagen nach dem Training an das Glücksgefühl dabei erinnern und dafür sorgen, dass ich mit ähnlicher Begeisterung durch den Alltag gehe.
Ich weiß, was ich kann und ich weiß, dass ich über mich hinauswachsen kann.

Die häufigste Reaktion, wenn jemand erfährt, dass ich Karate mache, ist: „Oh, oh, oh, dann muss ich ja aufpassen was ich sage, da muss ich ja Angst vor dir haben.“
Obwohl ich schon so viele Jahre trainiere, ist mir noch nie eine gute Antwort auf diesen Spruch eingefallen. Mal sage ich einfach „ja“ oder „nein“. Früher habe ich deswegen nur engsten Freunden von meinem Sport erzählt.
Muss man jetzt Angst vor mir haben?
Ich habe mich damit auseinandergesetzt, was ich tun und lassen würde, sollte ich einmal angegriffen werden. Das unterscheidet mich sicherlich von vielen anderen Menschen. Aber ich prügele mich nicht. Ich habe keinen Spaß am Prügeln. Es gibt nichts Schlimmeres für mich als im Training jemanden zu verletzen.
Aber ich habe das Selbstbewusstsein mir Herausforderungen zu suchen und tue die Dinge, die ich tue mit Hingabe.
Also, entscheidet selbst!

2 Kommentare:

  1. So weit bin ich noch lange nicht...
    Aber witzig, dass wir oft über die selben Themen nachdenken ;-)

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  2. Ja, das finde ich auch toll!
    PS: grad ist es wieder passiert. Ich in meiner Fleece-Jacke, eine Kollegin: "Oh, was machst du denn gefährliches, da muss ich ja Angst vor dir haben?!"
    Hmpf.

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