Beitragende

Sonntag, 27. November 2011

Ist spezielle Frauen-SV für mich sinnvoll?

Nachdem ich neulich in einem Artikel geschrieben hatte, wir sollten doch häufiger auch Techniken trainieren, die für Frauen interessant sind, haben diese Woche zufällig in zwei verschiedenen Trainings verschiedene Kampfsportler (alles zufälligerweise Männer) mit mir über Frauen-SV diskutiert.

Ich habe mir da vorher noch nie konkret Gedanken darüber gemacht, aber bisher ging ich davon aus, dass in speziellen Frauen-SV-Trainings eben speziell Angriffe geübt werden, mit denen sich Frauen eher konfrontiert sehen und dass bestimmte Abwehrtechniken geübt werden, die besonders gut funktionieren, wenn man kleiner (leichter und schwächer) ist.
Allerdings wird in diesen Trainings wohl auch ein besonderer Schwerpunkt darauf gelegt, den Frauen nahezubringen, dass es Grenzen gibt, die sie verteidigen dürfen und müssen und dass es in einem solchen Fall auch nicht mehr darum geht, dass frau ja eigentlich nett/lieb sein müsste und niemandem weh tun darf.
Scheinbar scheinen Frauen damit eher ein Problem zu haben als Männer (ob das tatsächlich so ist, oder ob Männer einfach gelernt haben, dass sie gefälligst das starke Geschlecht sein müssen, sei jetzt mal dahingestellt).

Als ich mir die verschiedenen Beispiele / Ansätze für solche Trainings angehört habe, war meine erste Reaktion: So etwas brauche ich nicht. Ich weiß, was ich will; ich weiß, wo meine Grenzen (in Abhängigkeit von meinem Gegenüber) sind; ich habe mich schon vor vielen Jahren entschieden, was passieren würde, sollten diese Grenzen überschritten werden.

Aber dann brachte mein Trainer ein Beispiel, welches mich dann doch nachdenklich gemacht hat, obwohl es eigentlich dazu gedacht war eine Regel zu verdeutlichen.
Es ging darum, dass meine Grenze bei einem Fremden wohl Körperkontakt wäre, wie z.B. wenn jemand mir den Arm um die Schultern legen würde. Klar, stellt man sich einen bedrohlichen Kotzbrocken vor, der einem den Arm um die Schultern legt, ist die Situation eindeutig.

Aber trotzdem ist das nicht so einfach. Wenn ich in meiner Partyzeit jeden, der mir unerwarteterweise um den Hals gefallen ist, barsch zurückgewiesen hätte, wäre mein Freundeskreis wahrscheinlich rasch geschrumpft und der Spaßfaktor an solchen Abenden hätte deutlich gelitten.
Was ich damit meine, und das ist es auch, was Selbstverteidigung für Frauen so speziell macht, ist, dass vor einer Vergewaltigung oft eine Kontaktaufnahme stattfindet. Und es durchaus sein könnte, dass derjenige sich charmant in den privaten Bereich drängt, so dass es für die Frau schwer sein könnte zu entscheiden, wo für sie selbst beim aktuellen Gegenüber die Grenze eigentlich liegt. Ist sie beim "ich geb dir einen Drink aus", "beim Arm um die Schulter legen", bei der anhänglichen Tanznummer, usw.?
Aus Kampfsicht betrachtet, ist ein Arm um die Schultern für den "Angreifer" ja schon die halbe Miete, von da ist man schneller am Boden, als man "Piep" sagen kann.

Deshalb bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass, wenn man als SV-Fortgeschrittene in eine SV-Situation kommt, dann ist es eine Situation, die man vorher nicht vorhergesehen hat - der Angreifer also schon ziemlich gut (getarnt) ist (denn ich denke, dass wir Kampfsportler mit unserem Bauchgefühl+Aufmerksamkeit / Zanshin alle schon ganz gut dabei sind). Und die Situation war deshalb nicht vorherzusehen, weil sie sich als harmlose Nähe angebahnt hat. Wenn aus der harmlosen Nähe so ernste Bedrängung wird, dass man sich ernsthaft bedroht fühlt, sind die Chancen gut, dass man sich bereits in einer blöden Lage befindet, aus der man nicht oder nur schlecht fliehen kann (allein, am Boden, in eine Ecke gedrängt, o.ä.). Entscheidet frau sich dann erst mal dazu, zu deeskalieren, oder sanft Grenzen zu setzen, weil sie sich noch nicht sicher ist, was denn eigentlich grad los ist, wird die Lage sicherlich noch unglücklicher. (Meiner Meinung nach funktioniert sanftes Abwehren, wie zurückschieben, wegdrücken, "Ausreden suchen" eher schlecht, wenn der andere eh nicht zugänglich ist. Ist er auch noch stärker, bringt das alles gar nichts - außer Kraftverschwendung für die Frau.)

Das ist der große Unterschied zur Selbstverteidung bei Männern: Ich denke, als Mann wird man eher mit aggressiven Situationen, bei denen der Angreifer noch eine gewisse Distanz hat, konfrontiert sein, anstatt mit einer sich schleichend anbahnenden Bedrohung.

So, worauf wollte ich jetzt hinaus?
1. Für mich persönlich halte ich spezielle Frauen-SV-Trainings für eher unnötig, da ich mich schon zu den Fortgeschrittenen zähle und "den ganzen Psychokram" schon ganz gut verinnerlicht habe.
2. Ich trainiere gern mit Männern (weil ich eh viel mit Männern zu tun habe, weil es realistischer ist und weil ich Herausforderungen mag), deshalb würde mich ein Frauen-SV-Training eh nicht so reizen.
3. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr unterscheiden sich trotzdem SV-Situationen für Männer und Frauen und zwar nicht nur durch die Techniken.
4. Für unser normales SV-Training würde ich mir, glaube ich, wünschen, dass wir mit derselben Selbstverständlichkeit zwischendurch immer mal wieder auch frauentypische Angriffe üben wie männertypische Angriffe (machen wir ja auch schon, mir fehlt manchmal noch die Selbstverständlichkeit). Man braucht da gar kein großes Ding draus zu machen, ich denke es ist (gerade für die Männer) einfach immer erst mal ungewohnt, aber eigentlich ist es doch nur eine Erweiterung des SV-Portfolios :-)

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